Monatſcſchrift * Geſellſchaft bvaterlandiſchen Muſeums
in Böhmen.
Prag J. G. Calve ſche Buchhandlung.
8. biefer Zeirfärift erfäeint — 1 Soft von circa — Bogen. Der Praͤnumerationspreis ift für den Jahrgang 5 The, ſachſ., und Fahn dafür durch jede folide Buchhandlung Deutſch⸗ lands bezogen werden Für die Titl, Herren Abnehmer in den & 8. öſterreichiſchen Staaten it der Pranumerationspreis ganz- jährig 7 fl. Conv. Münze, und für diejenigen, welche diefe Mo⸗ natſchrift unmittelbar bei unterzeichneter Handlung beſtellen, und immer ſelbſt bei ihr abholen laſſen, 6 fl. Conv. Münze Auch kann dieſe Monatſchrift unter portofreier Einſendung des Prä⸗ numerationsbetrags durch alle refp. k. k. Poſtämter bezogen — den; man pränumerirt bei dieſen halbjährig mit 3 fl. 40 Er. Conv. Münze, wobei pünftlihe und portofreie Zufendung mit einbegiiffen ift. Auch der erfle und zweite Jahrgang genannter Zeitfchrift, d. i. für 1827 u. 1828, können noch um denfelben Pranumerationspreis auf die eben angeführten Arten bezogen werden, fpäterhin follen die Preife erhöhet werden, weshalb um zeitige Beftellung gebeten wird. | Alle Titl. Herren a > Correfpondenten , wel: che mit ihren Beiträgen die Reddktion sorliegender Zeitfchrift beehren wollen, werten gebeten, ihre Beiträge oder Briefe an die unterzeic;nete Handlung mit dem Beifaze „‚für die Redaction der Zeitfehriften des böhmifhen Mufeums‘‘ gefälligft einzufen- den, Diejenigen aber, welchen Leipzig naher ald Prag liegen folkte, werden gebeten, ihre Beiträge: oder Briefe an Herrn Smmanuel Müller in Leipzig mit dem Beifaze „‚für die Redac⸗ tion der Zeitfihriften des böhmiſchen Mufeums‘‘ gefalligft abzu⸗ ſchiken. Prag, im Januar 1829,
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Monatſchrift
Geſellſchaft
des
vaterländiſchen Muſeums
in Böhmen.
Dritter Jahrgang.
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% ©. Calve'ſche Buhhandlung. 1829,
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Ueber Geſchichtforſchung und Geſchichtſchreibung in Böhmen.
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Sa weiß nicht, von we erft der Saz aufgeftellt wor— den ift, „daß Die Bolter Mer dann um ihre Gefchichte zu fümmern pflegen, wenn fie Feine mehr haben“; man bat ihn aber feitdem oft genug wiederholt. Sndeffen fcheint er mir mehr wizig als wahr zu feyn, und dürfte wohl nur mit Einfchränfung zugegeben werden können. Iſt näme lich Gefehichte die durh Sprache erneuerte Borftellung des Gefchehenen überhaupt: fo läßt fich Feine Epoche den- fen, wo ein Volk feine Gefchichte Haben Fönnte, da es in der Wirflichfeit eben fo wenig eine leere Zeit als einen leeren Raum gibt. Iſt fie aber, im höheren Sinne, die treue und daher nothwendigermweife auch organifche *),
*) Organifch nenne ich diejenige Darftellung der Gefhichte, worin die einzelnen Momente (Thatfahen) nicht als ein
formloſes Aggregat, fondern in ihrer urſprünglichen Ver— kettung, die in der Natur überall organisch iſt, dargeftellt werden.
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Darftellung einzelner aus der gefammten Maffe des Ge- fhebenen hervorragender Momente: fo fordern freilich die Gefeze der Erkenntnißkraft felbft eine beftimmte Entfer: nung des aufzufaffenden Gegenftandes, und die Ihatfachen können nur dann gefchildert werden, wenn fie fon vor= über find; aber auch in diefem Falle läßt fich Feine Epoche in dem Leben eines Volkes füglich annehmen, wo deifen Gefhichte aufhören follte. Denn im Volksleben gibt es eben fo wenig ifolirte Erfcheinungen, wie in der phyſi— fhen Welt; und jene Kräfte, deren Erfcheinungen die Gefhichte im höheren Sinne begründen, können dort fo wenig wie bier fich plözlich verlieren, fondern höchftens nur in einer andern Sphäre wirkffam werden. Ein wahre haft hiſtoriſches Volk hört entweder auf zu feyn, oder es fihert fich feine hiftorifche Bedeutung, nach Umftänden, in einer andern Sphäre,
Wenn nur große Maffen phyſiſcher Kräfte, nah Will- kühr in Bewegung gefezt, die Gefchichte im höheren Sinne begründen könnten, fo gäbe es freilich Feine böhm iſche Gefhihte, weder in der Gegenwart, noch in der Vergangenheit; denn Böhmen Eonnte aus feinem natürli- hen engen Gränzen die Welt nie mit dem Sturme der Eroberung überziehen, es befchränfte ſich vielmehr ger wöhnlich auf die Vertheidigung des eigenen Herded. Die biftorifche Mufe müßte fich daher von ihm abwenden, um in andern Ländern einen würdigeren Stoff für ihren Grif— fel zu fuchen, und könnte endlich Feine erhabeneren Ge— genitände ihres Preifes finden, als die Weltftürmer At- tila, Iemudfhin und Timur. Aber man fühlt wohl, daß es etwas Edleres gibt im Völkerleben, als rohe Waffen: gewalt; man läugnet auch nicht, daß diefes Edlere in allen feinen Erfcheinungen ein höheres Gut der Gefchichte feyn fünne, als die Stürme und Umwälzungen, welche jene Gewalt erzeugte. Und dennoch fucht und findet man heutzutage in allen Hiftorifchen Denkmalern zunächſt nur
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die Spuren des Bluts und die Gräuel der Zerftörung ; durch unfere Schuld herrfcht darin noch immer die ma— thematifche Größe vor, weil wir für die dynamifche noch berall zu wenig Ginn haben,
Auch in der zeitherigen Behandlung der böhmifchen Geſchichte ift diefe Verirrung ſichtbar; und hier um fo mehr, je nachtheiliger ein folder Mißgriff gerade bier gewirkt Hat. Man hat von jeher den eigenthümlichen Reiz unferer Gefchichte gefühlt, auch ohne ihn deutlich wahrzunehmen; dies bezeugt, um über anderes zu ſchwei— gen, ſchon die Unzahl der darüber gefchriebenen Werke, wie im Allgemeinen, fo auch im Einzelnen. Und doc) find diefe Werke größtentheils eher abftoßend als anziehend; denn fie bieten faft nur einförmige Ihronveränderungss und Kriegsfcenen, Gemälde innerer blutiger Unruhen und eines wilden, end= und finnlofen Treibens, ohne Zwek und ohne Mittel, dar; felten findet man darin das edlere Schauſpiel der Begeifterung für König und Vaterland, für die großen Ideen im Staats» und Volfsleben, in Kunft und Wiffenfchaft, deren Erfcheinungen unter den mannigfaltigften Umftänden, wie den hohen Reiz der Ge— ſchichte überhaupt, ſo auch den eigenthümlichen Charakter der unſrigen insbeſondere bilden. Und wenn auch hie und da ein Hiſtoriker, ſey's bonitate naturae victus, oder aus bloßer Lobſucht, darauf hindeutete: fo benahm er ihnen nur u oft zugleich ihre natürliche Haltung und Ber deutung, indem er das Weiße noch weißer, das Schwarze noch ſchwarzer zu malen fuchte, oder auch nur bei der Lichtfeite des Gemäldes allein verweilte, ohne zu bes rükſichtigen, daß im menſchlichen Wefen auch das Volle Eommenfte nie ganz vollfommen, und auch das Schlech— teſte nie ganz fchlecht ift, fo wie anderfeit3 der Tag nur durch den Gegenfaz der Nacht fein Dafeyn erhält. Andere Hiftorifer fuchten dagegen die Geftalten der Vor— zeit in das Gewand der Gage zu Fleiden, und fie mit
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dem Reize poetifcher, meist idyllifcher, Phantafie auszu- ſchmüken, um ihnen Doch Neiz und Bedeutung überhaupt zu geben: aber über dem erborgten falfchen Schimmer büßten diefe Geftalten ihre eigenthümlichen Züge ein, und die Wahrheit, die Treue des Gemäldes, ging hier wie dort verloren. Daher haben wir in diefer Hinficht noch Fein, auch nur einigermaffen haltbares, hiftorifches Werf erhalten können. '
Aber dies ift nicht der einzige, auch nicht der fühl: barfte, Mangel unferer Gefhichte, denn auch abgejehen von dem Geifte ihrer Behandlung, befizen wir ja nod) nicht einmal ein gehörig umfaffendes Werk, welches wir als ein formlofes Magazin unferer Gefchichten anfehen fönnten. Alles, was bisher ijt geleiftet worden, ift blo— ßes Stükwerk; und auch das umftändlichfte und ausführ— lichſte Werk darüber, das von Tr. Pubitſchka, ift noch lükenhaft und unvollendet. Es ift nicht zu läugnen, man bat über die Geſchichte Böhmens viel mehr gefchrieben und geftritten, als billiger Weife Hätte gefchehen follen: denn man hat fi) der Mühe des Forſchens und des Sam: melns überall zu wenig unterzogen. Der ganze Inhalt unferer Gefhichte ward gewöhnlich nur aus den in Druf vorhandenen älteren Chroniken gefchöpft-; die Archive, unerfhöpflihe Fundgruben für den Gefchichtforfcher, wur: den wenig oder gar nicht benüzt. Nun find aber der Chro— nifen aus unferer Vorzeit nicht viele, und darunter noch wenigere im Druf, vorhanden; auch find fie insgefammt mehr oder weniger mangelhaft. Unſere alten Ehroniften waren gewöhnlich Perfonen von eben fo befchränfter Ein- ficht als untergeordnetem Wirkungskreife; unfähig, das reiche vielbewegte Gemälde ihrer Zeiten zufammen zu faſ— fen und der Nachwelt darzuftelen. Ihre Aufmerkfamkeit war nur entweder auf ihre nächfte Umgebung, oder auf die Hauptbegebenheiten im Lande gerichtet, deren Urfa: hen, Bedeutung und Folgen ihnen gar häufig verborgen
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blieben. Es erklärt ſich daher, warum felbft die beften böhmifchen Hiftoriker eine fo unvollftändige Kenntniß des Geſchehenen hatten, warum das Ganze der böhmifchen Geſchichte faft nur aus jenen Kriegsfeenen, aus Gcenen innerer Unruhen und wilder zerftörender Kraft zuſammen⸗ gewebt ift, warum von der inneren Bedeutung derfelben, fo wie von dem ruhigen bürgerlichen Leben unferer Vor: fahren, von den Künften des Friedens im Vaterlande, von der Entwiflung der innern ftaatsrechtlichen Verhält— niffe, von der Landesverwaltung und deren Wirfungen auf das Wohl und Wehe des Volks in unfern Gefchich- ten fo felten die Rede ift, warum wir überhaupt nod) feine echt pragmatifche, Geift und Herz bildende, Nas tionalgefchichte haben.
Für die Eritifhe Sichtung des vorhandenen hiftori= ſchen Stoffes ift in neueren Zeiten freilich ungleich mehr und Größeres geleiftet worden, als vielleicht in mandhem unferer Nachbarländer; man war überhaupt glüflicher im Zerftören des Morfchen und Unhaltbaren, als im Aufbau eines monumentum aere perennius. Aber fo wenig man auch das Verdienſt ſolcher Leiftungen verkennen darf, fo können fie doch) dem Bedürfniffe einer guten Volksgeſchichte nicht genügen. Denn nicht das Ablegen des Irrthums, nur die lebendige Erkenntniß der Wahrheit bildet den Geift und befruchtet das Herz, hier wie überall.
Wenn man im Allgemeinen den Gang verfolgt, wel: hen das Studium und die Behandlung der vaterländis ſchen Gefhichte bei uns von den älteften Zeiten bis auf die Gegenwart herab genommen haben, fo wird man darin bald den Unterfchied von drei Zeitperioden gewahr werden; welche nämlich im Allgemeinen einen wefentlich verfehiedenen Charakter an fich tragen. Man könnte diefe drei Perioden, nach dem jedesmal vorwaltenden Einfluße einiger Hiftorifer, die Coſmas'ſche, die Hayek'ſche und die Dobner'ſche benennen; die erfte würde ſich vom
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J. 4400 bis 1540, ‚die zweite von 1540 bid 1760, die dritte von 1760 bis auf die Gegenwart erftrefen. Wollte man diefe drei Perioden in den allgemein. ſten Umriffen, nad dem Berhältniffe der Zweke, der Mittel und der Ausführung bezeichnen, fo Eönnte man Folgendes als Richtſchnur angeben: für die erfte Bes riode: befchränfte Zwefe, fhwahe Mittel, ziemliche Aus— führung; fir die zweite Periode: befchränfte Zweke, beifere Mittel, ſchwache Ausführung; und für die dritte: umfaffende Zweke, ſchwache Mittel, ziemliche Ausführung. Schwach nenne ich die Mittel der legten Periode nur im Derhältniß zu ihren höheren Zweken; und lobe die Aus— führung bei der erften Periode nur in Bezug auf ihre bes fhränften Zwefe und Mittel. Schon nad) diefer Bezeich- nung dürfte man die mittlere Periode, die Hayefifche nämlich, für die fhwächfte halten. Die Neihe aller böhmifchen Hiftorifer eröffnet ein ehrwürdiger Mann, der Prager Domdehant Eofmas (+ 1125), ein wahrer Herodot in feinem Vaterlande; denn gleich dieſem berichtete er alles, was er über Die Urgefchichte feines Volks gefammelt hatte, damit es ja nicht in Vergeffenheit gerathe; er verfehmähte auch. die fabelpaft gewordenen Sagen und Ueberlieferungen der Vä— ter nicht, hatte aber ein zu richtiges Gefühl für hiſtori— fhe Wahrheit, als daß er Fabel und Gefchichte nicht ausdrüflich Hätte von einander trennen follen. Nur fein - Styl erreicht die edle Einfalt des herodotifchen nicht; er trägt die Farbe der damaligen Schule, welche ſich mit fpizfindigen Ausdrüfen zu ergdzen pflegte. Seine Anfich: ten von der Urgefchichte Böhmens herrſchten bei uns bis ins XVI. Sahrhundert überall vor; aber fein richtiger Tact, fein keuſcher Sinn für die Ueberlieferungen des Als terthums, gingen bei feinen Nachfolgern verloren, | Unter den übrigen Ehroniften Böhmens aus der ers ften Periode müffen wir zweierlei Elaffen unterfheiden:
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diejenigen „welche, anf Coſmas geftüzt, die ganze Ges ſchichte Böhmens bis auf ihre Zeit herab zu umfaffen ſuchten; und diejenigen, welche ſich begnügten, nur die Gefchichte ihrer eigenen Zeit zu fehreiben. Zur erjten Glaffe gehören: 4) der erfte Fortfezer des Cofmas (1126 — 4442); 2) der Mönch von Sazama (1126 — 4462); 3) der Mönd von Dpatowic (1145 — 1165) ; 4) Dalimil (1314); 5) Neplach (1374); 6) Mari: guola (4555); 7) Pulkawa (1375); 8) Aeneas Sylbius (1458)5 9) Martin Kuthen (1559). "Zur zweiten Glaffe: 4) Bincenz (1140 — 4167); 2) Ger: lad (1167 — 1195); 5) der zweite, Fortfezer des Coſmas (4240 — 1233); 4) Peter von Königfaal (4292 — 1558); 5) Domprobft Franz (1335 — 1555); 6) Benes Krabice von Weitmül (1546 — 1374); 7) Laurenz von Biezoma (14414 — 41421); 8) die böh— mifhen Annaliften des XV. Jahrhunderts (1412 — 1524) ; 9) Bartofjef von Drahonic (1419 — 1445), und 10) Bartos von Prag (1520 — 41551). Die der Iezteren Glaffe Haben in der Regel einen ungleich höheren Werth für uns; unter ihnen zeichnen fich aber Peter von Kö— nigfaal, Laurenz von Biezomwa, und Bartos von Prag durch umfaffenderen BE, größere Vollſtändigkeit ‚und Lebendigkeit der Darftellung aus. Im der erften Claſſe find vorzüglich der fogenannte Dalimil, Pul fawa, und Aeneas Sylvius wegen ihrer Eigenthüms lichkeit bemerkenswerth. Dalimils böhmiſches Reimwerk iſt nur als ein bedeutſames Sagenbuch zu gebrauchen; Pulkawa's Fleiß würde größern Danf verdienen, wenn er von mehr Einficht und innerem Leben unterftüzt wor: ‚den wäre; das Gegentheil muß man von Aeneas Syl: vius fagen, deſſen herrlihe Auffaffungs= und Darftel: lungsgabe ung den Fleiß und die nöthige Unbefangenbeit um fo fchmerzlicher vermiffen laffen. Inder zweiten Periode des gefhichtlichen Stu— diums in umd für Böhmen (F. 1540 — 1760) bat fich
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die Zahl der Hiftorifhen Schriftiteller fo ſehr vermehrt, daß es unmöglich, aber aud) unnöthig wäre, fie alle hier zu nennen. Ich begnüge mich blos mit Andeutungen über die vorzüglichften unter ihnen, und teile fie in drei Claf- fon: 4) die noch unbekannten Hiftorifer diefes Zeitraums; 2) die befannten Schriftfteller über die ganze Gefchichte Böhmens; 3) die ebenfalls befannten über einzelne Theile derfelben. Unter den unbefannten Hiftorikern verftehe ich diejenigen, deren Werfe entweder noch nicht gedruft, und daher den Gefchichtforfchern meift noch unzugänglich find,
oder auch folhe, welche felbft dem Namen nad) bisher gänzlich unbekannt waren.
Sch fange zuerft bei-den Unbekannten an; weil fie den allgemeinen Gebrechen diefer Periode größtentheils fremd geblieben find, und daher auch, dem Berdienite nach, einer befferen Zeit angehören. Es find folgende:
1) Sixt von Dttersdorf (+ 1583), einft Kanze ler der Altftadt Prag, fehrieb über die inneren Ereigniffe in Böhmen in den Jahren 1546 und 4547 fehr umftänd- lich, doch nicht undefangen. 2) Johann Blahoslam (7 1571) verfaßte eine Gefchichte der böhmifchen und mährifhhen Brüder, wovon nur ein Eremplar, im Beſize eines Privatmannes, noch vorhanden tft. 3) Ein unges nannter böhmifcher Bruder fehrieb vor dem J. 1588 ein großes Werk über Böhmens Gefchichte, vorzüglich gegen Hayek, wovon fich aber nur der erfte Band, der bis zum 3. 1460 herabreicht, zu Stokholm in Schweden erhalten hat. (S. Dobrowfiy’s Neife, ©. 61.) 4) Wenzel DBriezan (1609 — 1619), der lezte Rofenbergifche Archi- var zu Wittingau, war ein Genealog und Biograph, des gleichen unfere Literatur fonft Eeinen aufzumweifen hat. Er fehöpfte alle feine Daten zunächft aus den unerfhöpflichen Schäzen feines Archivs, das er mit einem bewunderungs- würdigen Fleiße ſtudiert hatte; feine hiſtoriſche Darſtel— lung zeichnet ſich durch Klarheit und Gründlichkeit, Treue und Verläßlichkeit, Kürze und Reichhaltigkeit vor allen
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feiner Zeit aus, und es iſt nichts mehr zu bedauern, als daß feine Werke alle ungedrukt und meiſt unbeachtet blie⸗ ben; daher fie denn auch bereits größtentheils verloren gegangen find. 5) Der böhm. Oberitfanzler Wilhelm Graf Slawata von Chlum und Kofchumberg CT 1652) fehrieb, in Verbindung mit mehreren Gelehrten aus dem Sefuitenorden, eine fehr ausführliche documentirte böh— mifche Gefchichte feiner Zeit, urfprünglich 45 Bände in Folio, welche leider in keiner Bibliothek mehr vollſtändig zu finden ſind; auch ſind ſie noch überhaupt ſelten und wenig zu Rathe gezogen worden. 6) Endlich hat das ins halt= und umfangreichte Werk der hiftorifchen Literatur Böhmens das unverdientefte Schikfal gehabt, den Ge— fhichtforfchern ganz und gar unbekannt zu bleiben: es tft des böhmifchen Erulanten Paul Skala von Zhof (J. 16238 — 1658) allgemeine Kirchengefhichte in 40 fehr großen Foliobänden zu Dur, worin die neuere Gefhichte, mit vorzüglicher Rükſicht auf Böhmen, fehon im dritten Bande anfängt und bis zum 3.1624 reicht. — Alle diefe bier genannten Schriftiteller haben in böhmifcher Sprache gefchrieben, was zu ihrer Vergeffenheit nicht wenig bei- trug; und leider theilten fie mit einer großen Anzahl minder bedeutender Schriftſteller, ihrer Zeitgenoſſen, glei— ches Schikſal. —
Die Reihe der bekannten Hiſtoriker dieſes Zeitraums eröffnet der, nur allzubekannte, Wenzel Hayek von Libocan (7 1555) — weld’ ein Hiftorifer! — Ein Mann, der, ohne Sinn für hiftorifhe Wahrheit, eine Menge (mitunter fchäzbarer) gefchichtlicher Quellen zu— ſammenbrachte, und feiner Pflicht als Gefchichtfchreiber Genüge geleiftet zu haben glaubte, wenn er ihre Daten nach den farblofen Gebilden feiner eigenen Phantaſie aus: malte, ihre fcheinbaren Lüken leichtfinnig genug in der— ſelben Weife ausfüllte, und durch feine Belefenheit, durd) den Umfang feines Werkes, fo wie durch den angenon: menen zuverfihtlihen Ton der Erzählung, feinen Nachfol⸗
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gern, zum unfäglichen Nachtheil der Geſchichte, zwei Saprhunderte lang imponirte! Denn alle folgende Schrifts fteller diefes Zeitraums ließen fich mehr oder weniger von ihm irre leiten, und traten in feine Zußftäpfen: fo Du— bravins (7 1555), Paprocky (7 1617), Stranſky (+ 1657), Balbin (+ 1688), Peſſina (+ 1680), Bec— Fowffy (7 1725) u. a. Etwas freier und zugleid) nüdhe terner bewegten fih Eupacius (F 1537) und fein größer rer Schüler Weleflawin (7 1599), in ihren hiftorifchen Kalendern, hätten fie doch eine netürlichere Form der Darftellung gewählt! Eruger (7 1671), der ihnen in der gleichen Methode folgte, blieb doch in Hinficht auf fritifhen Sinn weit hinter ihnen zurüf.
Indeſſen kann ich nicht umhin, des patriotifchen Je— fuiten Bohuslaw Balbim beifpiellofen Fleiß und feine innige Liebe zur vaterländifchen Gefchichte dankbar zu rühmen; man erftaunt über feine. Ihätigfeit, wenn man den außerordentlichen Umfang feiner Studien mißt. Was wäre diefer Mann für unfere Gefchichte geworden, wenn er, feit feiner Kindheit fchon ein enthufiaftifcher Derehrer Hayeks, im reifen Alter mehr Miftrauen in deffen Angaben gefezt hätte! Denn daß er zu Grdßerem im Sache der Gefchichte berufen war, zeigt wohl fein Brief an Peffina, der freilich erft nach Hundert Sahren gedruft wurde (Dissertatio apologetica 1775), am deutlichften. Leider hielt feine Leichtgläubigkeit faft gleihen Schritt mit feinem Fleiße, und fein warmer Patriotismus beflüs gelte feine Phantafie nur zu oft auf Koften der nüchternen Wahrheit. Auch Joh. Beckowſky darf nicht unermähnt bleiben. eine „Poſelkyné“ iſt freilich nur eine verbef- ferte Auflage von Hayek; aber Der zweite Theil derfelben, der von 1527 bis 1658 reicht und nur im Manufeript vor⸗ handen ift, hat einen ungleich höheren Werth als der erfte, den wir gedruft befizen.
Die oben bezeichnete dritte Claſſe von Hiſtorikern diefes Zeitraums ift zwar unglaublich zahlreich, aber Dies
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fer Reichthum iſt ein folcher, der, wie Bacon fagt, eine mahre Armuth erzeugt. Wie viel muß man nicht fchon wiffen, um im Stande zu feyn, die wenigen Goldförn- chen Hiftorifcher Wahrheit in dem ungenießbaren Wuſte von gehaltlofen, balbwahren oder erdichteten Notizen ei- nes Bilejowſth, Troilus, Pontan, Iheobald, Palecek, Tanner, Bolelucky, Kokinek, Schlei— niz, Cerwenka, Pucalka, Hammerſchmidt, Frank, Stredowſty, Berghauer u. ſ. w. zu finden und zu erkennen? ? Freilich gibt es auch beſſere Leiſtungen für einzelne Theile unſerer Geſchichte aus dieſer Zeit, aber meiſt von Ausländern, wie Cochläus, Goldaſt, Gla— fey, Köler, Schwarz u. a. Goldaſt (1627) rüttelte gewaltig an dem bergebrachten Gebäude der böhmischen Gefhichte: da jedoch) fein unredliches Verfahren ohnehin zu fehr in die Augen fiel, fo begnügte man fich bei den da= maligen Umjtänden damit, fein Werk lieber zu ignoriren.
Erft im 3. 1760 fig. trat Gelaſius Dobner, ein Piarift (7 4790), als böhmifcher Gefchichtforfcher auf, und, wie Prochazka treffend fagt, „mentiendi finem feeit.““ Sein Commentar zu Hayek Annalen mußte end— ih auch dem Blödfinnigften über Hayeks gewiffenlofes Verfahren die Augen öffnen; er lieferte damit ein Werk von unfterblichem Verdienfte für die böhmifche Gefchichte, und man muß ihn nur bedauern, daß, er bei fo herrlichen Mitteln, bei feiner ungeheuern Belefenheit und feinem un— gemeinen Scharfiinn, den Kampf mit Hsoete Irrlichtern ſo lange fortſezte, und nicht früher als im J. 1782 feinen eigenen Weg einfchlug, um fehneller und weiter vorwärts zu kommen; denn unglüklicherweife reichen feine 6 Quart- bände, die wir in Druf befizen, nur bis zum J. 1198 herab; der fiebente ift zwar im Manufcript vollendet, aber unbekannt und daher ohne Nuzen für die Geſchichte. Ein Löbliches Werk ift auch feine Herausgabe der Monumenta historica Boemiae , in 6 Quartbänden, obgleich fie, in
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Hinficht auf die Nichtigkeit und Genauigkeit des Textes, nur allzuviel zu wünfchen übrig läßt. ine ähnliche Un: ternehmung batten fhon Ziegelbauer (+ 1750) und Piter (7 1764) vorbereitet, aber nicht ausgeführt.
Der neu belebende Geift grümdlicher Forſchung, der fi unter der mwohlthätigen Regierung Maria Thereſiens in Böhmen über alle Zweige der Wiffenfchaft zu verbrei- ten anfing, wekte aud einige aufgeflärte Männer jener Seit zur Stiftung einer gelehrten Privatgeſellſchaft im J. 1769, welche, ſpäter (1784) zu einer Fön. böhmiſchen Geſellſchaft der Wiſſenſchaften erhoben, bis auf den heutigen Tag fortfährt, für gründliche Geſchichtfor— ſchung thätig zu ſeyn. Ihre vorzüglichſten Mitglieder (in der hiſtoriſchen Claſſe) waren, außer Dobner, Adauct Voigt (7 1787), Franz Mart. Pelzel (+ 1801), Karl Ungar (7 1807), of. v. Mader (r 4814), Gottfr. Joh. Dlabac (+ 1820), Ignaz Cornova (+ 1822), und Joſeph Dobromffy (+ 1829). An- dere achtbare Forfcher, wie Franz Fauſtin Prochazka
(+ 1809), Franz Pubitfchfa CH 1807), Karl Sof.
v. Bienenberg (+ 1798), Wenzel Dinzenhofer (+ 1805), Joh. Zreiherr v. Stentſch (7 1827)u.a. m. waren ihr jedoch nicht beigetreten.
Dobners Leiftungen, für hiftorifhe Kritik un für die Sammlung gefhichtliher Denkmäler, bezeichnen den vorherrfhhenden Charakter diefer neuen Periode des hiftorifhen Studiums in Böhmen, welche ich, wohl nicht mit Unrecht, die Dobnerſche nannte; denn alle Nachfolger Dobners bauten und bauen noch, mehr oder we— niger, auf den von ihm zuerft gelegten Grund. Indeſſen war auch er nicht erhaben über das menfchliche Loos, fich bie und da zu irren. Geine Mißgriffe, 3. B. feine Grille über die Abftammung der Gehen, wekten mandhen Wi: derfpruch (Duchowſty, P. Athanafius u. a.) gegen ihn auf, den er ohne Nuzen für die Gefchichte, aber nicht
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ohne Leidenſchaft befämpfte. Fruchtbringender mar fein Werteifer mit dem gelehrten Jefuiten Franz Pubitfc: ka, der ſich durch feine „chronologiſche Geſchichte Böh— mens‘ (feit 1770, 44 Bände) ein nicht geringes Ver— dienft um die vaterländifhe Gefhichtforfhung erwarb. Aber fo überlegen auch Dobner diefem feinen Gegner war, fo Fonnte er doch gegen Pelzel und Dobrowffy fi kaum behaupten, fo oft dieſe Männer feine Anfichten nicht theilten.
Pelzels Hauptwerk find die Lebensbefchreibungen des Kaiferd Karl IV, und feihes Sohnes KR. Wenzel, — ein Werk der mühfamften Forfhung, obgleich Feiner an- genehmen Lectüre. Eben fo trofen und treu, wie bier, jeigte er fich in feiner kurzgefaßten „Gefhichte der Böh— men“ (3. Aufl. 1782), welde, troz ihren Lüken und Mängeln, noch immer das befte vollftändige Handbuch unferer Gefhichte ift. Viel vollfommener und brauchba= rer. wäre feine „Nowä kronyka Eefla‘ (3 Bde. 1791 — 96), wenn er fie nur beendigt, oder wenigftens weiter als bis auf K. Karls IV. Tod herab geführt Hätte. Aber es fcheint ein eigenes Schiffal über die böhmiſchen Gefhichten zu walten, daß gerade die beften Werke darüber entweder unvollendet bleiben, oder gar nicht ans Licht kommen.
Dobromffy’s hohe Verdienfte um die hiftorifche Kritif in Böhmen find noch allenthalben in frifchem An- denfen. Er war in der That ein. Mann, wie ihn die Natur nur felten. erfcheinen läßt: denn er verband ein außerordentliches Gedächtniß mit unermüdeter Ihätigkeit, und einen durchdringenden Schaufblif mit ftets gleicher Lebhaftigkeit des Geiftes. Er ſchrieb zwar Fein eigenes Werf über Böhmens Gefhichte, wirkte aber um fo viel- feitiger durch einzelne Eritifche Auffäze, durch Abhandlun- gen, Recenfionen, ja felbit durch ausgebreitete Eorrefpon= denz und durch mündliche Mittheilungen. Leider find feine fat unzähligen Auffäze in einer Menge von (zum Theil
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fchon feltenen) Zeitfhriften und Sammlungen zerftrent und daher ſchwer zugänglich, fo. daß ihre neue vollftändige Auf: lage in einigen Bänden fehr zu wünſchen wäre.
Don den Leiftungen der wenigen jezt noch lebenden Gefchichtforfcher Böhmens darf ich hier um fo weniger fprechen, als ihr Cyklus noch nicht gefchloffen iſt.
Sch habe oben bereits im Allgemeinen meine Anficht über die Mängel unferer gefchriebenen Gefchichte vorge: tragen, und den Grund derfelben vorzüglich in dem Ums ftande angedeutet, daß man den ganzen Inhalt der'vater: ländiſchen Gefhichte gewöhnlich nur aus den wenigen in Druk vorhandenen alten Chroniken fchöpfte, ohne die noch unedirten biftorifchen Schäze fo vieler Archive und Biblio: thefen des In- und Auslandes gehörig zu Nathe gezogen zu haben. Das Vorurtheil, welches auch dem befcheiden= ſten Gefchichtforfcher vor Zeiten alle Archive unzugänglid) machte, ift heutzutage, Gottlob! größtenteils verſchwun— den; auch würde es überall gegründeter feyn, als bei den Böhmen, deren Privatverträge und Nechte feit Jahrhun⸗ derten durch ein allgemein zugängliches Landesarchiv, die Landtafel nämlich, geſichert ſind. Daher können die böhmi— ſchen Archive überhaupt nicht leicht etwas anderes enthals ten, ald Denkmäler des Landes = und Ahnenruhms, weil ‚man gewöhnlich nur Diefe der Aufbewahrung werth achtete. . Die Ueberzeugung, ‚daß befcheidene echt wiflenfchaftliche Forſchungen überall nur gute Folgen haben können, ges winnt bei uns immer mehr Raum, da unſere eben fo weife ald milde Regierung jedem Berufenen, dem es um Förderung dev Wiffenfhaft, nicht um Befriedigung feiche ter Neugierde zu thun iſt, die Einficht in ihre Archive ſelbſt geftattet.
Mich haben mehrjährige fleißige Forſchungen dieſer Art zu der Ueberzeugung geführt, daß die ganze Geſchichte durch Benüzung der fo ſehr vernachläffigten Archivſchäze und handſchriftlichen Denkmäler eine neue Geſtalt ge—
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winne, daß das diesfällige Forfhen und Gammeln in feinem ganzen Umfange unerläßlic) fen, und daß jede Arbeit und Mühe, welche man unferer Gefchichte zumene det, damit beginnen müſſe, foldhe Denkmäler an Ort und Stelle aufjzufuchen, den Gewinn, den fie der Gefchichte reichen, fogleich herauszuheben und nach einem ausges dehnten Plane, wie ihn die hiftorifche Kunſt Heifcht, eine zutragen und zu ordnen. Nur auf dieſe Art wird es möge lich, verläßliche Angaben zur Geſchichte der ſtändiſchen Berhältniffe in Böhmen, fo wie der Gefezgebung und Landesverwaltung, der Finanzen und der Kriegsverfaf fung, der religiöfen, literäriſchen und arfiftifchen Cultur des Volks, der. Gewerbe und des Handels, des häusli— chen und gefelligen Lebens, der Gitten und Gebräuche u. ſ. w. aufzufinden, welche uns noch fo fehr mangeln, und welche man doch heutzutage bei Feiner Volfsgefchichte, am mwenigften bei der fo eigenthümlichen böhmifchen, außer Acht fezen darf, weil gerade hier die fo verfchiedenen Ele— mente des germanifchen und flowenifihen Volkslebens, die im größten Theile Europa's noch jezt vorherrſchen, überall in einander verfehmolzen zum Vorfehein Fommen.
gie lange wird wohl der böhmiſche Geſchichtforſcher noch auf die fo oft gewünfchte, fo vielfach in Anregung gebrachte, einigemal ſchon verfprochene, aber noch gat nicht vorbereitete, Herausgabe eines allgemeinen Diplo- matarium und eines Codex epistolaris von Böhmen war: ten müffen? Diefe thun uns doch wahrhaftig jest vor Atem Noth, — voransgefezt freilich, daß wir den noch nochwendigeren gottgefälligen und Loyalen Sinn mit echt hiſtoriſchem Geiſte und einiger Belefenheit überhaupt ver: binden. Moͤchte doch diefer fo oft gehegte und dringend ausgefprochene Wunſch nicht immer eine Stimme des Ru— fenden in der Wüſte bleiben ! |
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Monatſchr. III. Sahra. Juli.
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Die Belagerung Prags durch die Preußen im Sahre 1757.
Bon J. Kitter von Rittersberg, k. k. Hauptmann in der Armee. (Beſchluß. ©. Mai, ©. 406.) — 7 3 7 & 07 2 22% 2
An 1. Suni. Um den günftigen Umſtand der Trennung des Belagerungsheeres durch die Einbuße feiner verbin- denden Schiffbrüfen möglichit zu nüzen, wurde ein Ausfall befchloffen, welcher um Mitternacht mit 28,000 Mann aus drei Thoren geſchehen follte. Die an zwei Ihore beftimm- ten Abtheilungen ftanden bereits in den Gärten, Fampf- bereit des Zeichens zum Angriff gewärtig, die dritte je- doch, vom Herzog von Ahremberg angeführte, verfpätete fi, bis der Morgen graute. Nun unterblieb der Angriff, da die Möglichkeit der Ueberrafhung, worauf fein gluͤkli⸗ cher Erfolg größtentheils berechnet war, verſchwand. So entging den Belagerten die günſtigſte Gelegenheit, welche ſich ihnen dargeboten hatte, einen Theil der Einſchließungs— truppen des Feindes wahrſcheinlich vernichten zu können, und hiedurch vermuthlich die Aufhebung der Belagerung, oder wenigſtens doch eine minder enge Einſchließung zu erzwingen, da der Feind gleich darauf ſeine zerſtörten Schiffbrüken wieder in möglichſter Eile herſtellte.
Dieſer ließ nicht nach, der Stadt mit glühenden Ku— geln und Feuerballen unaufhörlich heftig zuzuſezen. Die Waͤlle blieben verſchont, weil ſein Trachten blos da— hin ging, durch Einäſcherung der Stadt und das Unglük der wehrloſen Bürger die Uebergabe zu erzwingen. Das
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Schießen mit'glühenden Kugeln galt an diefem Tage be fonders dem Dome St. Veit, deffen brennender Dachſtuhl nur mit großer Lebensgefahr der Arbeitsleute, weil der Feind) eben dahin, wo Rauch und Flamme aufftiegen, immer auf das heftigfte ſchoß, von gänzlicher Zerftörung durch den Brand: bewahrt wurde. Auch gerieth von den drei Eleinen Thürmchen des Dahftuhls das vorderfte, an der Stirnfeite der Kirche befindliche, in Brand. Da bier wegen’ augenfcheinlicher Lebensgefahr Niemand das Löfchen wagen wollte, entfchloß fich ein Gemeiner vom Regiment Eincere (Graf Salins 54. Lin. Inf. Negmt.), Namens Sohann Hauer, zu diefem Wageftüf, und wurde durch feine heldenmüthige Todesverachtung vielleicht der Netter diefes herrlichen Domes. Weil die Gefahr jedoch für fel- ben ftündlich zunahm, fo gebot die Vorſicht, alle Schäze, Koftbarfeiten und bewegliche Merkwürdigkeiten aus jelbem zu entfernen, Deshalb wurden die beften Wtarblätter, die filberne Tumba des heil. Johann von Nepomuk mit allen fie umgebenden filbernen Statuen, die goldenen und filder: nen Lampen, alle Eoftbare Kivchengemänder und Kleihos dien u. f. w. aus der Kirche nach anderen ſicheren * übertragen.
Die immer wachfenibe Feuersgefahr ** m Se: fehl nothwendig, alle Schindeldächher in der Stadt niederz, und alles Pflafter der Gaffen und Pläze aufreigen zu laffen. , Man traf die frengften Mafregeln, um von Raub und Plünderung abzuhalten, und Galgen drohten jenen, welche fich diefes Verbrechens fehuldig machen wür- den. An diefem Tage wurden aus der Borekifchen oder Nußbatterie 243 Bomben, 980 Kugeln, 17 Garcaffen, aus der Batterie am Zizkaberge 549 Bomben, 974 Ku- geln, 18 Garcaffen, aus der am Prämonftratenfer Wein: ‚berge 645 Bomben, 953 Kugeln, 412 Garcaffen, aus der Kreuzbatterie (Hinter dem Karlshof) 407 Bomben, 893 Kugeln, 4 Carcaffen, und aus der Zuchsbatterie (vor dem
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Augezder Thore) 83 Bomben, 847 Kugeln, nach ber Stadt abgefeuert. In Allem 1625 Bomben, 4747 Ku⸗ geln, 54 Carcaſſen.
Prinz Karl verließ heute feine biöherige Wohnung im Graf Gallasfhen Haufe, und wählte das Collegium Glementinum der Sefuiten, wo ſchon die fächfifchen Prin— zen und mehrere Generale wohnten, zu feinem neuen Auf- enthalte.
Am 2. verordnete ein Generalsbefehl, durch unauf— hörliche Ausfälle die feindlichen Arbeiten zu zerftoren, wenn fich der Feind mittelft Laufgräben der Stadt nähern follte, Doch, diefer, dachte nicht daran, fi) den Wällen zu nähern, und wollte nur mit Häufern, Palläften und Kirchen den zerftörenden Feuerkrieg fortfezen.
Eine Bombe flog durch ein Fenfter der Metropolitan kirche, und fiel in der Nähe des Grabes des heil. Johann, hart an den Stufen der Waldfteinfchen Gapelle, nieder, von wo fie einen ©az bis zur Sternbergſchen Eapelle machte, und im Serplazen große Verwüſtung an Altären, Heiligen» Bildern, Marmorplatten, Pfeilern und Fenftern verurſachte. Andere Bomben befchädigten die Adalberts— Gapelle, und flörten, in des Kirchhof geweihtem Boden wühlend , die ffile Ruhe der Todten, Särge und Leichen aus der Gräber Nacht herausfchleudernd. Im Speifefaale des Jakobskloſters der. Altftadt wurden 6 Geiftliche des Minoriten = Drdens, durch dahin gefallene zerfpringende Bomben, verwundet. Einer von ihnen, der Prediger des Drdens, ſtarb im Hofpital der barmherzigen Brüder an der bei diefer Gelegenheit erhaltenen Wunde.
Sn der Nacht machten die Kaiferlichen einen Ausfall durch das Neichsthor. Als fie von felbem zurüfkehrten, brachten fie 4 feindliche Kanonen — eine fünfte gelang es zu vernagebn — und mancherlei Beute mit. Man zählte an diefem Zage auf der Kleinfeite 189 eingefallene Bom⸗ ben, 578 Kugeln, 5 Carcaſſen, in der Alt und Neuftadt
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4419 Bomben, 2556 Kugeln, 26 Garcaffen. Aus der Fuchsbatterie 94 Bomben, 750 Kugeln, 9 Carcaſſen. Ges fammtzahl 1702 Bomben, 5864 Kugeln, 30 Garcaffen. Der 3. Juni war für die Eingefchloffenen einer der furchtbarſten Tage der ganzen Belagerung, weil fich zu dem ununterbrochenen feindlichen Feuer ein heftiger Orcan gefellte, welcher das Löfchen fehr erfchwerte, und Noth und Unglüf bei der Bürgerfchaft vermehrte. Der Wind trug die Flamme von einem Orte zum andern, und bald fanden der Roßmarkt, der Graben, die Heinrichsgaffe, der Poric, und auch ein Theil des Kohlmarftes, in hellen Slammen. Nur der Umftand, daß fich endlich gegen Abend der Wind Tegte, und die außerordentliche Tätigkeit im Löfhen, wozu nebit andern freiwillig und gezwungen Her: beieilenden fortwährend 200 Juden in der Nähe des alt: ſtädter Rathhaufes bereit ftanden, retteten die Meuftadt ‚vor gänzlihem Abbrennen. Auf dem Hradfchin bramnte "die Domdechantei und neuerdings das Dad) der Schloß: kirche. Um 9 Uhr B. M. fuhr eine glühende Kugel in das obere Chor, und zündete und vernichtete die Funft- reiche koſtbare Drgel, welche Kaifer Ferdinand J. bauen lieg. Alle höhere Gebäude der Alt- und Neuftadt, dar: unter befonders die Klöfter: der Capuciner bei St. Sofeph, der Hiberner und der Franciscaner bei Maria-Schnee, der Garmeliter bei St. Gallus, der Serviten bei St. Michael, der Benedictiner bei St. Wiflas, der Panlaner u. a. m. Titten an diefem Tage außerordentlich. Es fielen an ſelbem - 4972 Bomben, 4044 Kugeln, 56 Earcaffen in die Stadt *).
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Be Um durch wiederholte Aufzählung der aus den verfhiedenen Barterien auf die Stadt gemachten Schüſſe den Leſer nicht 30 ermüten, wird ferner nur noch ihre Gefammtzahl ange- führt werden, und die einzelne Angabe in einer am Schluſſe beigefügten Weberfichtstabelle vorkommen. - Wir. bemerken biebei, daß tie Zahlangaben Pelzels mit denen unferes Ta:
gebuches nicht überall ftimmen.
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Nach Mitternacht machte Oberſt Graf Broune — der ältefte Sohn des Feldmarſchalls — von einer in der Prager Schlacht erhaltenen Wunde Faum noch. genefen, mit 900 auserwählten Freiwilligen beim Reichs- und Karlsthore einen Ausfall. Die Tapferen erftiegen unter feiner Eugen Führung mit dem Säbel in der Fauſt ‚eine feindliche Batterie, eroberten 3 zwölfpfündige Kanonen, bieben viele Feinde nieder und zerftörten die Schanze. Der Verluſt der mutbigen Stürmer bei diefer Unterneh- ‚mung belief fih nicht höher als auf 2 Dfficiere und. 48 Soldaten. 146
Am 4. Juni war die Kleinfeite, der Hradjchin und der Pohorelez das Hauptziel der feindlichen Gefchüze, wo— bei dem Gapueinerflofter der Lorettafirche, dem Prämon- ftratenfer: Stifte auf. dem Berge Sion (in deffen Umfreife während der Belagerung, die Kugeln nicht eingerechnet, allein 344 Bomben fielen), dem Cerninfhen und Lobko— wizfchen Palaft und dem Urfulinerflofter fehr Heiß zuges fezt wurde. Nach. den übrigen Stadttheilen wurde heute nicht fo Heftig gefeuert. Es gefhahen 2731 Schüſſe auf die Stadt. In derfelden war das Schlacht- und Horn⸗ vieh beinahe aufgezehrt, und man war gezwungen, mit dem Schlachten der Pferde anzufangen.
«Am 5. warf der Feind 4860 Bomben und Kugeln in die Stadt. Das Hauptziel feines Gefchüzes an diefem Tage war. die, durch Alter und Banart fo ehrwürdige St. Veitskirche des Föniglichen Schloffes. Ihr allein galten heute bei fechzehnthalb Hundert Schüffe, von wel: chen jedoch glüflicherweife nur ein Fleiner Theil und ohne bedeutende Verwüſtung anzurichten, traf. Die Erhaltung und Ausbefferung der hin und wieder Shadhaft gewordenen Schanzen und Bruftwehren, wurde nun eine der Hauptforz gen der Belagerten, welche mitunter zum befferen Schuze gegen das feindliche Feuer auch neue Befeitigungswerfe aufführten. Ein folhes, durch die bedeutende und ent:
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bloͤßte Streke der Stadt, welche es defte, feht wichtige Werk, war die ihrer Anlage nad) noch gegenwärtig zum Theil fichtbare Schanzarbeit des heutigen Tages, an wel: chem man von der Äuferiten Stadtmaner oberhalb des Je— fuitengartens bis zu dem einftigen Gerninfchen Belvedere _ längs der Moldau einen Laufgraben aufwarf, der mit CS chanzpfählen und doppelten Wolfsgruben verfehen, und von dem Geſchüze der nahen Stadtmwälle beftrichen wurde. Die Haltbarkeit diefes Schanzgrabens wurde noch durch zwei Nedouten vermehrt, von denen die eine, auf dem rechten Flügel desfelben erbaute, mit 6, die zweite, in der Mitte des Grabens errichtete, mit 2 Gefchüzen befezt war”). Diefes Werk, deffen Zuftandebringung die feind- lihen Batterien vom Zizkaberge durch ihr Feuer vergeblich zu verhindern trahteten, wurde durch mehrere Pikete be- fest. Von diefen befand ſich eines, 70 Mann ftarf, in der alten nun wieder ausgebefferten Batterie, welche fritz ber die Franzofen oberhalb der Capelle der heil. Maria Magdalena im Gerninfhen Weinberge angelegt hatten. Ein anderes, aus hungariſcher Mannfchaft zufammenge: fezt, fand unterhalb der Gapelle. Eine Abtheilung Gre— nadiere lagerte hart am Moldauufer neben dem Jefuitene garten. Der fehmale Steg des fteilen Berged war der einzige Zugang zu der neuen Schanze, welche die in die Gegend don Bubna, Holeffomwiz und Bubened vorgefcho- benen leichten Beobachtungstruppen trefflich defte, und diefe ganze, an Pferdefutter ergiebige Fläche den Kaifer- lichen zu Gebote erhielt.
Am 6. wurde die Geiftlichfeit zu einer neuen Geld» anleihe für das Bedürfnig der Befazung aufgefordert, mel» he fie mit bereitwilfigem Eifer zu Stande brachte. Der sauna 4 m
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* Pelzels Angabe, daß dieſer Laufgraben mit 24 Kanonen verſehen wurde, ſcheint demnach unrichtig zu ſeyn.
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Feind machte bei 4900 Schüſſe aus dem Belagerungsge- ſchüze auf Die Stadt, wodurd) die Domkirche und mit ihre an 50 Hänfer in Brand geriethen.
Den 7. zählte man bei neunthalbhundert Scüffe mehr ald am vorigen Tage, welche aus den preußifchen Batterien die Häuſer und Gaffen Prags erreichten, Das von eingetretenem Negenwetter neuerdings erfolgte Anz’ fhwellen des Flußes veranlaßte den Feind, feine beiden Schiffbrüken abtragen zu laffen, um einer neuen gewaltfas men Zerftörung derfelben vorzubauen. Hiedurch wurde die Verbindung feiner an beiden Ufern lagernden Abthei— lungen neuerdings unterbrochen; aber auch diesmal benüz- ten die Belagerten diefen günſtigen Umftand eben fo wenig als das erftemal.
Das Schiefen am 8. war noch um etwas heftiger ald am vorigen Tage. An Bomben fiel an diefem Tage die größte Anzahl von allen Belagerungstagen in Die Stadt, 2059. Gie zündeten das Fönigliche Glashaus und das Opernhaus jenfeits der Staubbrüfe, und diefe Brüke ſelbſt. Der Brand derfelben wurde jedoch durch fihnelle Hinz | wegreißung des hölzernen Geitengeländers gelöfcht. Das heftige Feuer der legten drei Tage hatte viele Häufer theils ganz zerftört, theild mehr oder weniger beſchädigt. Von den Kirchen litt auf der Neuftadt vorzüglich die Joſephs— firhe, welche mehrere Bomben und glühende Kugeln er— reichten. Das beftigfte Schießen Fam von der Nußbattes vie, und galt der Kleinfeite und dem Schloffe. Die Dome firhe fing in diefen drei Tagen mehr denn dreifigmal zu brennen an. Die unermüdete Wachfamkeit und die zwek— mäßigen Anftalten des Domherrn Joh. Kaifer, welcher bald darauf Weihbifchof zu Prag und fpäter Bifchof zu Königgräz wurde, und der ihm beigegebenen Gapitular: Officianten und Kirchendiener, vetteten den majeftätifchen Dom in jenen Schrefenstagen, in welchen fein Blechdach von 215 Kugeln durchbohrt, die Geitengewölber fehr be
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ſchädigt, und viele der fchönen alten gothifchen Bauzier- vathen zertrümmert wurden, vom Untergange, Die zum Löfchen beftimmten Leute mußten bei augenfcheinlicher Les bensgefahr mit unausgefezter Anftrengung fort arbeiten. Es ſchien, als Habe der Feind den unglaublichen, feine Zweke durchaus nicht fürdernden, Vorſaz gefaßt, diefe alt ehrwirdige Zierde der Hauptftadt Böhmens, deren Fe; ftigfeit feit ihres Erbauers Karls IV. Zeiten jeder Unbill der Zeiten getrozt hatte, zeritören zu wollen. Der viefige Bau befiegte auch dieſe vergeblichen Anftrengungen, welche ihm. Vernichtung drohten, und wird in den hinterlaffenen Spuren der Belagerung noch Jahrhunderte lang ftolz den Nachkommen die Giegesmale weifen. Der VBordertheil der Kirche mit feinem großartigen Gemälde, die heiligen Landespatronen vorftellend, war von mehr denn hundert Kugeln getroffen, und die große Thurmuhr, derem weſtli— ches Zifferblatt dem preußifchen Geſchüz wie zur Sielfcheibe diente, ganz zu Grunde gerichtet.
In den Tagen vom 4. bis zum 9. litt die ganze obere Gegend des Hradfhins außerordentlich. Von den Hof gebäuden wurde der fpanifche Saal und das neue Stift der, adeligen Fräulein fehr beſchädigt. Das Wachhaus an der Staubbrüfe- wurde in einen Steinhaufen verwan- delt. )
Am 9. als am Fronleichnamstage, mußte